Montag, 17. August 2015

Praktikum in Ruanda: Du bist MUZUNGO!

Folgender Bericht ist ein Erlebnisbericht: Erlebnisse, die man aufgrund der „Hautfarbe“ in Afrika/Ruanda macht.

Muzungo,
Ein Wort, das ich gleich am ersten Tag von meiner Anreise erklärt bekommen habe, als mir aufgefallen ist, dass ich von einigen Leuten auf der Strasse angestarrt werde, gemustert, begutachtet.
„Weil du eine Muzungo bist!“
„Was ist denn Muzungo?“
„Es ist der Ausdruck für einen „Weissen Menschen“ hier in Afrika.“

Muzungo wird hier in Ruanda gebraucht wie bei uns in Europa noch vor 20-30 Jahren das Wort Neger: Nicht abwertend, aber differenzierend. Es war damals normal für uns zu sagen, „das ist ein Neger“ – genauso normal es für die Afrikaner ist, zu sagen: „Das ist ein/e Muzungo.“ Nie im Leben hätten wir in meinem Umkreis damals das Wort Neger abwertend gedeutet, genauso wie die Afrikaner das Wort Muzungo nicht als Abwertend einsetzen/gebrauchen.
Es wurde uns dann Mitte der Neunziger gesagt, dass das Wort „Neger“ als abwertend empfunden wird und somit im Alltag zu vermeiden ist.
Somit ist es nun im heutigen Sprachgebrauch fast nicht mehr zu finden.

Scheinbar gibt es einige Leute, die es nicht so toll finden,
an jeder Strassenecke "Muzungo" genannt zu werden:
und somit sind in einigen Läden bereits
T-Shirts mit dieser Aufschrift zu finden.[1]


Als „Muzungo“ ist man oftmals auch eine Art Statussymbol. Viele Leute wollen in Kontakt mit einem treten.
Die allgemeine Auffassung ist: Muzungo ist reich. Muzungo hat Geld. Muzungo kommt aus Europa: Europa ist reich, in Europa kann man alles machen und alles haben. Es scheint, als ob ganz Afrika auf Europa (und auf Amerika) schaut: Das gelobte Land: Das Paradies.
Das stimmt auch soweit, ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn genauso wie hier in Afrika muss man in Europa sein Leben managen und etwas fürs Überleben tun. Das wird natürlich dann weniger gesehen. Für die meisten Ruandesen ist Geld die allgemeine Lösung für alles. Medien verstärken das Bild.

Einmal, auf dem Weg zur Arbeit standen 3 Frauen am Weg, begutachteten mich und sagten dann laut, unüberhörbar: „Muzungo!“ – offensichtlich ohne dass sie mich dabei direkt ansprechen wollten.

Auch wenn man die Landessprache nicht beherrscht, ist es möglich gewisse Phrasen in gewissen Situationen zu interepretieren: Im Bus sassen auf 3 Plätzen 3 Personen, unter anderem auch ich: Somit war, nach Ruanda- Standard, noch 1 Platz frei neben mir: Der Bus-Chauffeur deutete mit dem Zeigefinger neben mich, als noch ein Fahrgast einsteigen wollte und sagte in der Landessprache Kinyarwanda etwas: Das Wort Muzungo fiel ebenfalls. Ich interpretierte: Das müsste heissen soviel wie: „ Setz dich neben die Muzungo!“

Einige junge Männer sind auf der Suche nach einer Muzungo als Frau, das wird auch offen kommuniziert: Im Bus, auf dem Weg zur Arbeit, herrscht mittlerweile eine Art „Rangordnung“, wer sich während der knapp 1 stündigen Busfahrt neben mich setzt, und sich mit mir unterhält. Langweilig wird einem als „Muzungo“ nicht.
Letztens hat ein Arbeitskollege auf der Busfahrt gesagt, dass er mal nach Europa reisen will, um sich Europa anzusehen, und: Er will sich eine Frau dort suchen. „Ahja?“ fragte ich erstaunt. Ja, das wolle er. Aber er wüsste nicht, ob es angebracht wäre, ob denn die Väter in Europa das zulassen würden, wenn die Tochter plötzlich mit einem Mann aus Afrika ankommen würde. Ich erklärte, dass es Frauen in Europa gibt, die mit einem Mann aus Afrika verheiratet sind, und dass so etwas in den meisten Familien schon akzeptiert wird. Seine weitere Frage war, ob es denn mein Vater akzeptieren würde, wenn ich einen Afrikaner zum Manne hätte.  --->oha. Nun wusste ich, auf was die Frage hinausläuft. Ich antwortete: Meine Eltern müssten meine Entscheidung akzeptieren, das wäre die allgemeine Haltung in Europa, wobei sich diese Frage bei mir nicht mehr stelle: Ich zeigte ihm meinen Ring an meinem linken Ringfinger, den ich bewusst, als einziges Schmuckstück trage. Sofort holte ich mein Smartphone aus der Tasche und stellte ihm stolz meinem „Fiancé“ (Lebenspartner) vor: Einige Fotos zeigte ich ihm, um zu signalisieren: Du kannst es ja versuchen eine Frau aus Europa zu bekommen, aber ich bin schon glücklich vergeben.
Zufällig am selben Tag fragte mich derjenige, der auf Arbeit für mich zuständig ist, wie ich denn die Männerwelt hier in Ruanda wahrnehme. Ich wusste nicht auf was die Frage hinausläuft und fragte deshalb nach, was er denn genau meint. Er erklärte mir: „Viele Männer sehen weisse Frauen als eine Art Statussymbol. Für junge Männer sind weisse Frauen ebenfalls eine Art Ausdruck der Veränderung in der Gesellschaft und um etwas Neues, ganz anderes zu machen. Und Du als Weisse wirkst natürlich somit doppelt interessant für diese Art von Männer.

Aufgrund der allgemein herrschenden Auffassung „Muzungo = reich“ gibt es hier beim Einkaufen auch „Muzungo- Preise“. Als Muzungo zahlt man mehr.

Letzens im Buch sass „Olivier“ neben mir: Olivier war ein junger Mann, der mit bei mir wöhrend der Busfahrt ein Gespräch begann und fragte, wieso ich nicht mit dem Auto fahren? Sein Englisch war sehr schlecht, darum fragte ich nach, was er meinte: "Kauf doch ein Auto! Dann kannst Du durch Kigali fahren!"
"Aber ein Auto ist teuer- und ausserdem will ich nicht selbst mit einem Auto durch diese Stadt fahren," entgegnete ich ihm. "nein- ein Auto ist nicht teuer! Für Dich nicht! Ein Auto ist billig für Dich!" entgegnete er energisch - eigentlich gar nicht entsprechend der höflichen ein netten Art der Ruandesen.

Letztens an einer Busstation: ein behindertes, verwahrlostes Kind bettelte um Geld (Es gibt zwar sehr wenig Bettler hier, jedoch wenn diese eine/n Muzungo sehen, dann wird darauf zu gerannt). Ich dachte, ich gebe ihm eine Münze. Als ich im Portemonnaie kramte, standen plötzlich weitere 3 Kinder mit offener Hand vor mir.
Ich war überfordert mit dieser Situation. Entschied mich dann, mit extrem schlechtem Gewissen, keinem etwas zu geben. àwo fängt es
Am nächsten Tag auf Arbeit fragte ich eine Arbeitskollegin (Ruandesin), was man in so einer Situation tun sollte. Sie meinte: „Gar kein Geld geben.“ Sie erklärte folgendes: Die Regierung hätte auch dahingehend schon vor Jahren Einrichtungen geschaffen, in denen Familien mit behinderten Kindern unterstützt würden: Hauptsächlich Bildungstechnisch: Behinderte Kinder könnten dort lernen mit ihrer Behinderung umzugehen und es würden Möglichkeiten für eine Eingliederung in die Gesellschaft geschaffen. Es gäbe aber immer noch genügend Familien, die dies ablehnen und die Kinder eher zum Betteln schicken. Veränderungen würden oftmals aufgrund mangelndem Verständnis und Bildung ungern mitgetragen werden.

Eine weitere „Muzungo- Geschichte“ ist folgende: An einer Busstation bettelte ebenfalls ein behinderter Junge: Er fragte bei vielen Menschen um Geld, bis ihn dann einige Leute wegschickten, mit dem Finger auf mich zeigten und in ihrer Landessprache etwas sagten- das Wort „Muzungo“ fiel ebenfalls. Der Junge lief dann sofort zu mir und bettelte bei mir. Ich interpretierte daraus, dass sie einfach sagten: „Geh doch zur Muzungo- die hat Geld“.

Solche Situationen überfordern. Definitiv. Zum Einem, weil ich gerne bereit wäre etwas zu geben, zum Anderen; Wo fängt man an und wann ist Schluss. Es hört nicht auf. Und die allgemeine Meinung: Muzungo= reich= hat das Geld= kann davon etwas abgeben.
Somit habe ich mich bisher entschieden, fremden, mir unbekannten Menschen einfach nichts zu geben.









Eine Europäerin, die ich hier kennengelernt habe (sie ist mit einem Ruandesen verheiratet), sagte mir, dass sie mittlerweile sehr strikt und eher kalt gegenüber Ruandesen ist, da sie nie weiss, ob sie freundlich sind, weil sie sich einen Vorteil erhoffen (= Mehrheit) oder weil sie wirklich an einem als Menschen selber interessiert sind. Sie hätte die Erfahrung gemacht, dass man oftmals, sobald klar wird, dass die Muzungo-Ruandese- Freundschaft/Beziehung keinen monetären Vorteil bringt, fallen gelassen wird, wie eine „heisse Kartoffel“.

Zum Anderen ist ersichtlich ( gemäss europäischer Denkweise), dass der Bezug zum Geld hier ein anderer ist, als der, den man in Europa gelernt bekommt: Die meisten (!—nicht alle) Europäer kalkulieren und setzen mit Mass und Ziel ihr Geld je nach Einkommen ein. Hier sehe ich, dass viele Menschen (vor allem Männer), die zwar arbeiten und (teilweise minimales) Gehalt verdienen, dies nach Erhalt innert ein paar Tagen ausgegeben haben. Sobald Geld vorhanden ist, auch wenn es sehr wenig ist , wird es ausgegeben, oftmals auch für Dinge, die im Fernsehen/Medien präsentiert werden und die dazu dienen, sich selbst besser darzustellen (Schmuck, Make Up, Frisuren, Mode, Leisurement)- ein gutes Gefühl zu geben, anstatt auf die essentiellen Dinge wie Nahrung etc… zu setzen.
Dieser Umstand ist aber dann nicht sofort Lebensbedrohend, denn Familienbande sind hier noch sehr stark ausgeprägt: Ist eine Person in der Familie vorhanden, die ein höheres Einkommen besitzt, dann stellt es gesellschaftlich gesehen überhaupt kein Problem dar, im Haus dieser Person mit zu wohnen, zu Essen und zu trinken. „That’s normal, he/she has the money. He/She can give it to me!“
Das ist ein Satz der oftmals in solchen Situationen zu hören ist. Dies ist hier auch nicht böse gemeint, es ist einfach gesellschaftlich/kulturell fast generell so gesehen.


 
Der gebildete Teil der Bevölkerung, mit dem ich beispielsweise auf Arbeit zu tun habe, sieht den Umgang mit Muzungo – und auch den Stereotypen dahinter aus einer völlig anderen Sicht. Diese Leute haben unter anderem in Bezug auf Geld durch Familie und Schule(wie wir auch)gelernt, zu kalkulieren, vorausschauend zu agieren. Für mich ist es in dieser so fremden Kultur wunderbar, Menschen zu treffen, die ihr Studium in Europa oder Amerika, Kanada absolviert haben: denn dieses Studium hat deren Sichtweise, Denkweise und Weltanschauung derart verändert und man kann sich somit trotz der kulturellen Unterschiede auf einer einheitlichen Ebene begegnen und ist sich somit nicht völlig fremd.

Die meisten „Muzungos“ hier in Ruanda sind Expats: Leute, die für versch. Ausländische Institutionen hier nach Ruanda geschickt wurden und arbeiten: Diese leben in einem von ihrer Institution angemieteten Haus, haben ihre 3-4 Angestellten, fahren teure, grosse Autos. Die Mieten für diese Häuser sind extrem überteuert und die Angestellten bekommen meist das 5-10 fache an Gehalt als Angestellte von Einheimischen Ruandesen. Es ist in Ruanda bereits ein Diskussionspunkt, dass diese Expats Marktzerstörend wirken, weil eine Art Ungleichheit entsteht: Dieselbe Arbeit wird mit einem extremen Unterschied entlohnt (Beispielsweise bekommt ein Homeboy eines Ruandesen 20.000-30.000 RWF pro Monat. Ein Homeboy eines Expats bekommt für dieselbe Arbeit zwischen 100.000 RWF und 200.000 RWF).


Ausserdem wird somit auch das Bild/Stereotype des „Muzungo = Geld“ verstärkt. Dass diese Häuser und dieser Lebensstandard nicht von den Expats selber bezahlt werden, wissen die wenigsten Menschen: Neid, Missgunst untereinander sind somit ebenfalls eine logische Konsequenz: Das Gefühl weniger Wert zu sein, ist omnipräsent.
„Wir wollen dahin wo Europa ist, endlich gleich sein wie Europa.“ Sagte mir ein Ruandese letztens. „Ich glaube in 10 bis 15 Jahren haben wir das auch geschafft, dann sind wir genauso wie ihr!“

Diesen Satz werde ich wohl nie vergessen: Das Augenmerk ist extrem auf Europa gerichtet, endlich ebenbürtig zu sein, endlich gleich-wertig zu sein. Das ist eine Haltung, deren Ursprung wahrscheinlich in der Kolonialzeit zu finden ist.



Quellen: [1] https://karenanddeon.files.wordpress.com/2012/03/img_2282_thumb.jpg?w=518&h=390 aufgerufen am 24.8.15

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